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Interview mit proxy_404
proxy_404 ist Mitglied des internationalen Crush Kollektiv mit Sitz in Berlin, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine Plattform für FLINTA*-Artists und Verbündete auf der ganzen Welt zu schaffen, um sich zu vernetzen, auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.
In diesem Interview sprechen wir mit proxy_404 über den Einfluss von Kollektiven, die Herausforderungen, die mit der Gründung eines solchen verbunden sind, und darüber, wie sie deine individuelle Künstleridentität verändern können.
Wie entstand Crush?
Die Ursprünge entstanden aus dem Bedürfnis, sich mit anderen FLINTA* zu vernetzen, gemeinsam aufzulegen und einen Raum zu schaffen, in dem wir experimentieren und wachsen können und sehen, wohin das Ganze führt.
Mein Ex-Partner hat mir damals das Auflegen beigebracht und als ich anfing, befand ich mich zwar in einem sehr unterstützenden, jedoch sehr männerdominierten Umfeld. Damals haben sich viele auch noch nicht so sehr mit den Strukturen und ihrer jeweiligen Konsequenzen auseinandergesetzt. Nach unserer Trennung verlor ich auch den Kontakt zu diesen Kreisen, aber ich wollte mich musikalisch weiterentwickeln.
Ich machte einen Aufruf auf einer Social-Media-Plattform, auf den drei Personen antworteten. Wir stellten fest, dass wir Lust hatten, gemeinsam etwas zu starten und beschlossen, uns einmal im Monat zu treffen und gemeinsam aufzulegen. Im Laufe der Monate kamen immer mehr Menschen dazu. Zuerst veranstalteten wir das Ganze immer bei uns zu Hause.
Jeder hatte anderes Equipment da, also gab es viel Abwechslung und Raum für Fehler, aber wir hatten Spaß zusammen und kamen ins Gespräch. Jeder von uns brachte unterschiedliche Genres, unterschiedliche Erfahrungen aus dem eigenen Beruf und unterschiedliche Perspektiven mit, aber wir hatten alle die gleiche Intention: einen Wunsch nach einer inklusiven und vielfältigen Szene und die Einsicht, dass dies Bildung, Räume und Gemeinschaft erfordert*.
Als das Interesse, die Nachfrage und unsere Ideen wuchsen, beschlossen 6 von uns, dass es an der Zeit war, ein Kollektiv zu gründen.
Was sind die zentralen Anliegen des Kollektivs?
Wir streben danach, eine globale Plattform für FLINTA-Künstlerinnen und Allies aufzubauen, beginnend hier in Berlin.
Wir wollen uns vernetzen, Brücken bauen und uns gegenseitig bereichern, sichere, inklusive und vielfältige Räume anbieten, voneinander lernen und vor allem unsere gegenseitige Gesellschaft genießen.
Wir möchten Menschen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln und sie ermutigen, sich zu zeigen.
Inwiefern steigen durch die Beteiligung an einem Kollektiv deiner Erfahrung nach die Chancen, etwas zu bewirken?
Das Mitwirken in einem Kollektiv hat mir in kurzer Zeit sehr viel beigebracht.
Neben unseren politischen Zielen und Wünschen für die DJ-Szene gibt es eine Ebene, die sehr wichtig ist - nämlich die der Gemeinschaftsarbeit.
In einer Gesellschaft aufzuwachsen, die hauptsächlich in isolierter Häuslichkeit lebt und Familie und Partnerinnenschaften höher wertet, sind die Beziehungen außerhalb des häuslichen Lebens brüchig. Ich glaube, dass dies auch ein Gefühl der Einsamkeit und den Wunsch nach Zugehörigkeit erzeugen kann.
Für mich geht es in der Zusammenarbeit in einem Kollektiv nicht darum, eine Utopie zu schaffen, sondern es geht darum, einen Raum für alle Komplexitäten zu kreieren und die Begegnung in diesen Räumen zu begrüßen. Ich selbst stehe noch ganz am Anfang, mich in einem Kollektiv zurechtzufinden. Ich fühle mich in Gruppen unsicher, aber ich bin auch gespannt auf alles, was kommt.
Und ich glaube fest daran, dass die gemeinsame Erfahrung und der Austausch innerhalb des Kollektivs eine große Wirkungsmacht hat und die Art und Weise, wie ich mich in der Gesellschaft bewege, beeinflusst.
Welche Auswirkungen hat die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv auf die eigene künstlerische Identität?
Ich fühle mich durch meine Mitmenschen inspiriert, die Art und Weise, wie sie in ihre Musik einsteigen und die Energie, die sie kreieren, begleitet mich.
Ich fühle mich unterstützt, entdecke unerwartete Orte und mache Erfahrungen, in denen ich mir selbst und anderen gegenüber ehrlich sein muss.
Ein Teil eines Kollektivs zu sein bedeutet interdependent zu wachsen. Ich werde in meinem Sein selbstbewusster und da mein Verständnis von Identität auch mein künstlerisches Schaffen beeinflusst, kann ich beobachten, wie sich auch dieses verändert.
Was waren bisher die größten Herausforderungen, denen du dich als Künstlerin und Protagonistin in der Branche stellen musstest?
Ich habe mir zuliebe entschieden, künstlerisch tätig zu werden und stecke da viel Energie rein. Zurzeit kann ich, so wie viele Künstlerinnen, nicht davon überleben.
Das Balancieren zwischen “echtem Job” und meiner Kreativität ist definitiv anstrengend. Oft fühle ich mich als hätte ich nicht genug Zeit zum Schlafen, für Freundinnen, Familie oder für mich. Ich könnte auch gar nicht in dieser Position sein, wenn ich nicht unterstützt werden würde.
Künstlerin zu sein ist definitiv ein Privileg, das nicht alle haben können.
Soziale Medien sind eine zusätzliche Herausforderung. Die Plattform ist super, um sich zu vernetzen und ich benutze sie als eine Art Künstlerinnen Portfolio, aber es gibt Zeiten, an denen sie betäubend und überfordernd wirkt und ich mich ständig damit auseinandersetze, dass sie im Endeffekt auch nur ein Teil der großen Konsummaschine ist.*
Was ist deiner Meinung nach der bisher größte Erfolg von CRUSH?
Unsere monatlichen DJ Sessions, die wir jetzt auch in den Pirate Studios abhalten.
Außerdem haben wir eine neue Podcast-Reihe gestartet, in der wir FLINTA* DJs und ihre Sets featuren.
Am tollsten finde ich persönlich aber das Vernetzen und die Begegnungen miteinander. Unsere Community wird immer größer und somit auch unsere Möglichkeiten.
Gibt es andere Kollektive, die du bewunderst und die gerade in Deutschland aktiv sind?
Na klar!
RAIDERS, Femme Bass Mafia, hoe_mies, TS Raver, Refuge Worldwide, BLVSH, Berlin Strippers Collective, Kollektiv Vakant, Eclat Crew, un:seen, excuse:u, Dynamic Events, lonely arts collective und wahrscheinlich einige mehr die mir gerade nicht einfallen oder die ich noch nicht getroffen habe.
Und zu guter Letzt: Auf was dürfen wir uns von CRUSH als Nächstes freuen?
Auf jeden Fall ein paar mehr Open Decks Bar-Abende.
Wir versuchen auch gerade herauszufinden, wie man sich auf Förderungen bewirbt, damit wir auch Club Nächte veranstalten können in denen wir unserer lokalen FLINTA* Community die Chance geben können, in einem Berliner Club aufzulegen.
Irgendwann würden wir diese Club Nächte auch gerne mit Artist Talks und Workshops am frühen Abend verbinden. Es ist zwar wichtig und nötig, Freude zu kreieren, aber genauso wichtig ist es, sich weiterzubilden und zu verstehen, woher die Strukturen, die wir nicht mögen, kommen.
Du kannst über proxy_404 und crush kollektiv auf dem Laufenden bleiben, indem du ihnen auf Instagram folgst.
Du fühlst dich inspiriert? Buche eines unserer DJ-Studios in Berlin oder Hamburg.